Agile Führung

NUR DIE FÜHRUNGSKRAFT MIT AGILEM FÜHRUNGSVERSTÄNDNIS WIRD BESTEHEN!

Heute gehören agile Methoden in der Softwareentwicklung schon zum Alltag vieler Unternehmen. Auch, wenn der Reifegrad [1] dabei sehr unterschiedlich sein kann, ist die Hoffnung aber immer dieselbe: mehr Transparenz und höhere Produktivität. Dabei gilt meist die Devise: Selbstorganisierte Teams sind schön und gut, aber die Kontrolle soll weiterhin beim Management liegen. Das verträgt sich aber nicht unbedingt mit dem Selbstverständnis der Entwicklungsteams und birgt daher Konfliktpotential. Was aber bedeutet dies für die Führungskraft? An dieser bleibt diese Ungereimtheit in der Regel hängen. Um sich im Zuge der Transformation zudem nicht vollständig abzuschaffen, benötigt sie ein agiles Führungsverständnis. Dieses kann sie zum Einen einsetzen, um die Unternehmensziele in die agile Welt zu überführen und zum Anderen als Mittel der Mitarbeiterbindung.

Meiner Meinung nach wird der Weiterentwicklung der “klassischen” Führungskraft zum “Agile Leader” zu wenig Aufmerksam geschenkt. In diesem Blog Beitrag beschreibe ich daher erst einmal, woher aus meiner Sicht die Notwendigkeit kommt, sich zu verändern und erläutere anschließend die wichtigsten Grundsätze, nach denen ich selbst bei der Mitarbeiterführung vorgegangen bin, um meinen Wertbeitrag als Agile Leader zu leisten. Diese Kurzanleitung richtet sich hauptsächlich an Leser, die sich mitten in der Transformation befinden und noch unsicher sind, welche Rolle sie im agilen Setup spielen können. Mit einem offenen Mindset können die alten Muster abgelegt werden, um so den Fokus einzig auf das Empowerment des selbstorganisierten Teams zu legen. Jedenfalls entspricht das am Ehesten meiner Philosophie. Das wird bei den Ausführungen auch sicherlich deutlich. Aber nun zurück zum Artikel.

Schon während des Recruitingprozesses muss man auf die Frage des Bewerbers nach agilen Methoden gefasst sein. Für einen erfahrenen Softwareentwickler kann die Arbeitsweise ein Ausschlusskriterium sein. Diese spielt eine immer größere Rolle bei der Wahl des richtigen Arbeitgebers. Diejenigen, die die Vorteile der agilen Methoden für sich erkannt haben, sind schon gewohnt, so zu arbeiten und wollen das auch nach einem Wechsel nicht ändern. Hauptsächlich steht dabei der Handlungsspielraum des selbstverantwortlichen Teams im Vordergrund. Auch die Unternehmen haben irgendwann die Vorteile der agilen Methoden für sich erkannt. Allerdings steht hier vielmehr die Transparenz im Vordergrund. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen stellt die Führungskraft vor enorme Herausforderungen.

Getrieben vom Wettbewerb um die hellsten Köpfe, muss die Führungskraft dem Wunsch der Softwareentwickler nach Selbstbestimmung im Team nachkommen. Andererseits erhält die Führungskraft den Auftrag, aus der Linienorganisation, Termine einzuhalten und ein regelmäßiges Reporting zum Fortschritt zu liefern. Wie bringt man diese Dinge zusammen, ohne eine der beiden Seiten zu verstimmen? Das erfordert viel Fingerspitzengefühl, welches bei jeder noch so kleinen Interaktion auf die Probe gestellt wird. Wann darf der Manager beispielsweise auf einzelne Mitarbeiter aus dem Team für Querschnittsthemen zurückgreifen? Wie können Anfragen gestellt werden, ohne die Schlagkraft des High-performance Teams zu schwächen? In meiner Erfahrung kann die Führungskraft hier nur bestehen, wenn sie konsequent ein agiles Führungsverständnis aufweist. Worauf es dabei aus meiner Sicht ankommt, werde ich im Folgenden näher beschreiben.

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1. Zielvorgaben und Orientierung für Richtung mitgeben

In der Regel führt die moderne Führungskraft mit Zielvorgaben. Diese sollten auch in einem agilen Umfeld bestehen bleiben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass keine individuellen Aufgaben festgelegt werden, die der Teamdynamik in die Quere kommen könnten. Hierbei ist zu vermeiden, dass sich einzelne Teammitglieder mit dem Hinweis aus dem Sprint verabschieden, sie arbeiten nebenbei für ihren Chef. Vielmehr sind Teamziele und unterstützende Tätigkeiten zu suchen, die der Allgemeinheit zu Gute kommen. An dieser Stelle kann es auch sinnvoll sein, den Agile Coach von den Zielvereinbarungen zu unterrichten, damit er bei Bedarf vermittelnd eingreifen kann.

Jedes agile Team benötigt eine Vision zur Orientierung. Die Produktvision deckt dabei nur den fachlichen Teil ab, der andere Teil betrifft die Vision der Organisation. Die Eigenmotivation im Sinne der Firma zu handeln, um den wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen, ist dabei nicht zu unterschätzen. Hier kann die Führungskraft einen bedeutenden Beitrag leisten und damit eine klare Richtung vorgeben. Diese muss schlüssig zu den Unternehmenszielen passen.

2. Rahmenbedingungen und Struktur schaffen

Der Manager macht sich in einem Agilen Setup nicht automatisch überflüssig. Er wird vom Team gebraucht, um einen klaren Rahmen abzustecken. Anschließend darf der Handlungsspielraum des Teams sich nur in diesem Rahmen abspielen. Ohne diese Rahmenbedingungen würde das Team gefahrlaufen den Fokus zu verlieren. Das agile Team arbeitet zwar selbständig, soll sich aber nicht um alles alleine kümmern müssen. Daher braucht es klare Vorgaben, auf die es sich in der VUCA-World verlassen kann. Ein Beispiel dabei wäre zu definieren, wie das Team im Recruitingprozess neuer Teammitglieder eingebunden werden soll.

Wenn die Führungskraft diese Rahmenbedingungen schafft, kann sie auch gleich vorgeben, wie die Linienorganisation an das Reporting für die erhoffte Transparenz kommt. Damit kommt sie ihrer Verantwortung gegenüber dem Top Management nach und gibt dem Team einen klaren Prozess vor, der den Ablauf nicht weiter stört. Anfragen sollten übrigens niemals direkt an einzelne Teammitglieder gestellt werden, sondern über einen klar definierten Kanal ans ganze Team adressiert werden. Das hört sich zwar simpel an, erfordert aber viel Disziplin. Ein paar wohl überlegte Eckpfeiler, wie diese, machen die Selbstorganisation des Teams umso einfacher.

3. Verantwortung und Entscheidungen übertragen

Das ist die Paradedisziplin jeder Führungskraft, bei der sich die Spreu vom Weizen trennt. Die Kunst ist es hierbei keine Aufgabe, sondern die im Handlungsrahmen festgelegte Verantwortung zu delegieren. Um Verantwortung abgeben zu können, muss man loslassen können. Das kann schon etwas schmerzen, da ein Stück Kontrolle verloren geht, aber zugleich wird Freiraum für Führungsaufgaben geschaffen. Die Verantwortung ist gut aufgehoben bei den Mitarbeitern. Mehr Verantwortung fördert nicht nur die Eigenmotivation, sondern auch die persönliche Weiterentwicklung.

Als nächstes sollten auch Entscheidungen möglichst im Team getroffen werden. Dieses Prinzip beruht auf der Erkenntnis, dass das Wissen zu bestimmten Themen bei den Experten im Team am größten ist. In Verbindung mit der Verantwortungsübertragung ist es nur logisch die Entscheidung ebenfalls zu delegieren. Vorbei ist die Zeit, dass in der Information über die verschiedenen Führungsebenen hinweg immer weiter abstrahiert wurde, sodass die Entscheidungsfindung nicht mehr auf dem kompletten Faktenstand basiert werden konnte.

4. Gestaltungsspielraum einräumen

Auch wenn der Rahmen gesetzt ist und das Umfeld geschaffen wurde, muss die Führungskraft den Gestaltungsspielraum aktiv einräumen. Das macht sie am besten, indem sie immer wieder kommuniziert, welche Verantwortung beim Team liegt und was erwartet wird. Neu gewonnene Verantwortung wird nicht automatisch wahrgenommen, sondern dieser Schritt sollte als Lernprozess verstanden werden. Jemand, der Verantwortung übertragen bekommt, muss sich erst orientieren und seinen Gestaltungsspielraum erkunden. Die Führungskraft steht dabei nur beratend zur Seite und sorgt für Klarheit. Wichtig ist hierbei, das Team dann anschließend auch machen zu lassen und sich nicht weiter einzumischen. Anfangsfehler gehören zum Lernprozess dazu und bei Impediments wird sich das Team schon melden.

5. Mitarbeiterentwicklung und Kompetenzaufbau im Fokus

Wenn die ersten vier Prinzipien umgesetzt wurden, kann sich die Führungskraft um die wirklich wichtigen Dinge kümmern. Nämlich der Förderung der Mitarbeiter für die persönliche Weiterentwicklung und dem Aufbau von benötigten Kompetenzen. Der Agile Coach kann helfen den Kompetenzbedarf im Team zu identifizieren. Die Verantwortung, geeignete Schulungsmaßnahmen zu ergreifen, liegt aber weiterhin bei der Führungskraft. Diese kann den Mitarbeiter noch zusätzlich dadurch fördern, indem sie Ideen aufgreift und bei der Lösungsfindung unterstützt. Sich für die inhaltliche Arbeit zu interessieren, steht in meiner Sicht in keinem Konflikt zum agilen Vorgehen. Um sich beispielsweise mit den Konzepten vertraut zu machen, hilft es, sich beispielsweise für inhaltliche Reviews anzubieten.

Damit diese Führungsprinzipien funktionieren können, müssen einige Dinge bei der Mitarbeiterentwicklung beachtet werden. Die Führungskraft muss verstärkt Selbständigkeit und Eigenverantwortung fördern. Die Mitarbeiter müssen dazu ermutigt werden, den Gestaltungsspielraum zu nutzen. Sie müssen für zielorientiertes Vorgehen und Eigeninitiative belohnt werden. Außerdem ist es wichtig, dass die Führungskraft frühzeitig in eine Eskalation eingebunden wird. Zu guter Letzt brauchen die Mitarbeiter auch weiterhin eine Perspektive und müssen die neuen “agilen” Karrieremöglichkeiten vermittelt bekommen. Für alle diese Punkte haben sich in meiner Erfahrung Jour-Fixe Termine bewährt, bei denen ich mich bewusst dem Coaching verschrieben habe. Schließlich soll die Entscheidung vom Mitarbeiter getroffen werden, bei dem die fachliche Kompetenz liegt.

[1] Turetken, Oktay and Stojanov, Igor and Trienekens, Jos JM. “Assessing the adoption level of scaled agile development: a maturity model for scaled agile framework” (2017)

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